Ein Lob auf die Freiheit, trotz Dürrenmatt und Dostojewski

Referat von Matthias Aebischer, Nationalrat

Liebe Rüscheggerinnen, liebe Rüschegger, liebe Gäste

Es ist mir eine grosse Ehre heute am Nationalfeiertag hier im Rüschegg, in meiner Heimat, einige Worte an Euch richten zu dürfen.

Am 1. August huldigt man landauf, landab der Freiheit in unserem Land. Seit 1291 seien wir – mit einigen Unterbrüchen – frei. Frei geblieben trotz grossem Druck von aussen. Wir liessen uns nicht beirren – so stand es in meinen Geschichtsbüchern – ok, vieles dieser Geschichtsbücher wurde in den letzten 20 Jahren leicht korrigiert, aber das soll heute nicht das Thema sein. Sondern eben, wir liessen uns nicht beirren und so sind wir heute eines der wenigen Länder auf der Welt, wo das Volk bei der Gesetzgebung das letzte Wort hat. Wir, die Bürgerinnen und Bürger machen also sozusagen die Gesetze selbst, wunderbar! – Ist das so wunderbar, oder ist es eher ein Muss? Ist diese zelebrierte Freiheit möglicherweise eine Last? Ist es schwierig mit dieser Freiheit umzugehen?  -Die letzten zwei, drei Jahre haben es explizit gezeigt. Es ist nicht einfach: Pandemie, Krieg, Beziehung zu den Nachbarn. Immer wieder müssen wir uns anstrengen mit dieser Freiheit, wir, das Volk. Wir sind „selbständig, frei, demokratisch, wirtschaftlich prosperierend und zugleich sozial gerecht“, wunderbar, doch es ist nicht einfach.

Dieses Ideal eines Staates „selbständig, frei, demokratisch, wirtschaftlich prosperierend und zugleich sozial gerecht“, dieses Ideal ist ein Zitat von Friedrich Dürrenmatt. Dürrenmatt beschrieb es im Herbst 1990 in einer Rede anlässlich der Gottlieb-Duttweiler-Preisverleihung zu Ehren des damaligen tschechoslowakische Ministerpräsident Václav Havel. Dürrenmatt verglich die freiheitliche Schweiz mit den Gefängnissen, in welchen der Freiheitskämpfer Havel in den 70er-Jahren ausharren musste.

Dürrenmatt verglich also die Schweiz mit einem Gefängnis, in das sich die Schweizer geflüchtet hätten. Friedrich Dürrenmatt formulierte das so: „Weil alles ausserhalb des Gefängnisses übereinander herfiel und weil sie nur im Gefängnis sicher sind, nicht überfallen zu werden, fühlen sich die Schweizer frei, freier als alle andern Menschen, frei als Gefangene im Gefängnis ihrer Neutralität.“

Sie können sich vorstellen, dass in der Schweiz Anfangs Neunzigerjahre nach dieser Rede ein Raunen durchs Land ging. Anwesende Bundesräte hätten Dürrenmatt nach dieser Rede nicht einmal mehr die Hand gereicht, kann man in den Zeitungen von damals nachlesen.

Dürrenmatt sagte damals also, dass die Schweiz ein Gefängnis sei und nicht ein Hort der Freiheit. Oder, dass ihm das zumindest niemand beweisen könne. Und Zitat: „Nun wissen wir nicht, was wir feiern sollen, das Gefängnis oder die Freiheit.“

Für mich ist klar, was wir heute feiern – und auch in Zukunft feiern müssen „die Freiheit“. Dass dies alles andere als selbstverständlich ist, wird uns in aller Brutalität seit Anfangs Jahr vor Augen geführt. Während die Ukrainerinnen und Ukrainer mit Waffen für die Freiheit kämpfen, müssen auch wir uns in der wohlhabenden und sicheren Schweiz die Frage stellen, welche Verantwortung die Freiheit mit sich bringt. Ich würde nicht soweit gehen, uns als Gefangene im Gefängnis der Neutralität zu sehen – wie das Dürrenmatt sagt – aber dennoch: Wir müssen uns weiterentwickeln in der Schweiz – frei zu sein ist wunderbar, doch die Freiheit ist auch eine Bürde. Wir müssen aktiv bleiben, uns verändern, das gibt zu tun.

Mit ähnlich klaren Worten wie Dürrenmatt hat sich auch der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski zum Thema geäussert. Im Buch „Die Brüder Karamasow“. So lässt er den spanischen Grossinquisitor erklären, weshalb die Menschheit nichts mit der Freiheit anzufangen weiss.  Der Grossinquisitor ist wütend. Denn er spricht zu Jesus, der es wagte, mit denselben Ideen auf die Erde zurück zu kommen, wie 16 Jahrhunderte vorher. Er sagt: „Du willst unter die Menschen treten und kommst mit leeren Händen, mit der Verheissung einer Freiheit, die sie in ihrer Einfalt und als geborene Unruhestifter nicht einmal erfassen können, vor der sie sich fürchten und zurückschrecken – denn es gab noch nie etwas Unerträglicheres für den Menschen und die menschliche Gesellschaft als die Freiheit.“

Jesus lässt sich durch die Rede des Grossinquisitors nicht aus der Ruhe bringen. Als Antwort auf die Tirade küsst er den Grossinquisitor und entkommt so dem Tod auf dem Scheiterhaufen.

Die Freiheit als Gefängnis bei Dürrenmatt, die Freiheit als das Unerträglichste überhaupt bei Dostojewski.

Und wir feiern heute die Freiheit?

Wir deklarieren uns selber als frei und selbstverantwortungsvoll, souverän. Doch sind wir es auch? Stellen Sie sich diese Frage doch einmal selbst, grundsätzlich. Bin ich frei? Mache ich das, was ich will, was mich glücklich macht in meinem Leben? Sie müssen sich diese Fragen ja nicht gerade heute Abend stellen, aber vielleicht morgen, übermorgen – einfach nicht vergessen! Denn ansonsten bekommen Dürrenmatt und Dostojewski doch noch Recht.

Wer die Freiheit leben will und für die Zukunft sicher will muss aktiv sein, sich bewegen, agieren und nicht reagieren. Das gilt nicht nur für jeden einzelnen von uns, sondern für das ganze Land, für unsere Schweiz. Ja ich weiss, das ist etwas vom Schwierigsten – aber es lohnt sich – für unsere „freie, demokratische, selbständige, wirtschaftlich prosperierende und zugleich sozial gerechte“ Schweiz. Gerade am 1. August dürfen wir uns diese Fragen stellen:

Sind wir mit der Freiheit, dass das Volk zuoberst steht und die Gesetze macht, beweglich genug in Zeiten wie einer Pandemie? – Können wir uns in dieser Zeit auf unserer Freiheit ausruhen, uns abdrehen, wenn es um die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern geht? – Können wir uns in diesen Zeiten trotzig an unserer Neutralität festhalten, wenn Russland Richtung Westen marschiert und Menschen ihrer Freiheit beraubt oder gar tötet? – Am 1. August darf man sich auch solche Fragen stellen, so finde ich?

Denn wer die Freiheit hat, muss arbeiten, sich immer wieder Fragen stellen, sich neue definieren. Wenn wir das nicht machen, haben Dürrenmatt und Dostojewski am Schluss dann doch noch Recht.

Das wollen wir nicht. Ich wünsche allen einen schönen Abend.

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