USR II: Der grösste Abstimmungsbetrug

Die Unternehmenssteuerreform II (USR II) von 2008 war der grösste Abstimmungsbetrug in der Geschichte der Schweiz. Die USR II ist und bleibt ein Multi-Milliarden-Steuerbschiss zugunsten der Grossaktionäre und keine «Vorlage zugunsten der Tausenden von Malern, Apothekern, Garagisten, Floristen, Metzgern … und Landwirtschafts-Betrieben», als die sie der damalige Bundesrat Merz verkauft hat. Was geschah damals genau? Die nachfolgende Chronologie zeigt die Fakten auf.

29.4.2004: Die SP lehnt in der Vernehmlassung zur USR II Massnahmen zugunsten von Kapitalgesellschaften ab und warnt beim vorgesehenen Wechsel vom Nennwert- zum sogenannten Kapitaleinlageprinzip (KEP, d.h. steuerfreie Ausschüttung von Agios und Zuschüssen an die Aktionäre) ausdrücklich vor «schwierigen Abgrenzungsproblemen, die Missbrauchspotenzial in sich tragen». Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) kritisiert die einseitige Entlastung von Grossinvestoren.

In der parlamentarischen Beratung werden die neuen Steuervorteile noch massiv ausgeweitet. Die Ausschüttung der total steuerbefreiten KEP-Dividenden wird auch den Publikumsgesellschaften sowie bei KMU an später dazugekommene Aktionäre erlaubt. Die Teilbesteuerung der Dividenden wird reduziert bzw. für die Kantone ohne Mindestsockel freigegeben. SP und SGB ergreifen mit einer breiten Allianz von Organisationen das Referendum gegen die USR II.

Im Abstimmungsbüchlein argumentiert das Referendumskomitee wie folgt gegen die USR II:

Zu teuer: Schaden für AHV, Bund und Kantone

Grossaktionäre, die in ihrem Unternehmen mitarbeiten, werden sich mehr Dividenden und weniger Lohn auszahlen. Löhne sind AHV-pflichtig, Dividenden nicht. Die AHV verliert Beiträge von mindestens 150 Mio. Franken. Die Unternehmenssteuerreform in Bund und Kantonen verursacht zudem bis zu 2 Mrd. Franken Steuerausfälle. Dieses Geld fehlt z.B. bei den Schulen und Spitälern. Oder der Staat macht Schulden und erhöht die Steuern oder Gebühren. Darunter leiden Haushalte mit tiefem Einkommen.

Der Bundesrat hält dagegen:

Der Einwand, die AHV würde wegen der Milderung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung künftig weniger Einnahmen erzielen, trifft nicht zu. Es ist zwar möglich, dass es sich für einen Unternehmer lohnt, neu einen Teil des Lohnes über Dividenden zu beziehen, da darauf keine Sozialabgaben fällig sind. Dieses Vorgehen lohnt sich aber nur in speziellen Fällen. Kurzfristig könnten sich darum Mindereinnahmen von 86-130 Millionen Franken für die AHV ergeben. Gemessen am Total der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherungen, welche 2005 rund 28 Mrd. Franken betrugen, sind die Auswirkungen aber bescheiden. Langfristig dürfen den Sozialwerken dagegen wegen der erwarteten Wachstumseffekte dauerhaft Mehrerträge von 23-67 Millionen Franken zufliessen. (…) Die finanziellen Auswirkungen der Reform sind im Vergleich zum gesamten Haushalt des Bundes gering. Die zu erwartenden Steuerausfälle sind verkraftbar. Langfristig dürften dem Bundeshaushalt wegen der erwarteten Wachstumseffekte dauerhaft Mehreinnahmen zufliessen.

Ferner argumentiert der Bundesrat, die USR II

  • sei vor allem eine Vorlage für die KMU
  • erhöhe für Aktiengesellschaften (AG’s) den Anreiz, Dividenden auszuschütten. “Das Geld werde wieder produktiv investiert statt gehortet“.
  • ermögliche es, mit der Anrechnung der Gewinnsteuer an die Kapitalsteuer, Kapitalgesellschaften von einer Steuer zu entlasten, die an ihrer Substanz zehre und ihre Finanzkraft schwäche.

 

24.2.2008: Referendumsabstimmung zur Unternehmenssteuerreform II: Angeführt von der SP erreicht das Referendum 49.5 Prozent der Stimmen, nur 19‘754 Stimmen fehlen.

Die VOX-Analyse der umstrittenen Abstimmung weist nach: «Das weitaus am meisten genannte Motiv der Befürworter war die Absicht, mit der Steuerreform die Lage der KMU allgemein zu verbessern». 

 

14.3.2011: Auf Druck von Fragen aus dem Parlament gibt der Bundesrat zu, dass Bund, Kantone und Gemeinden wegen der USR II mit Steuerausfällen von über 7 Milliarden Franken in den nächsten 10 Jahren rechnen müssen. Und das allein wegen der Steuerbefreiung der Ausschüttungen aus Aktiengesellschaften an ihre Aktionäre. Profiteure sind vorab Grossaktionäre.

 

20.12.2011: Das Bundesgericht rügt die Verletzung der Abstimmungsfreiheit durch den damaligen Bundesrat vor der Referendumsabstimmung hart (BGE 138 I 61):

Es war den Stimmberechtigten allerdings nicht möglich, sich eine zuverlässige und sachgerechte Meinung zu bilden. Sie verfügten über keine Prognosen zu den Auswirkungen des Kapitaleinlageprinzips. Es fehlten ihnen gar Hinweise darauf, dass diese Auswirkungen nicht abschätzbar waren und einen wesentlichen Unsicherheitsfaktor darstellten. Solche Hinweise wären umso wichtiger gewesen, als die ausgewiesenen Steuereinbussen in den Bereichen der Dividenden und Liquidationsgewinne den Eindruck von Sicherheit und Verlässlichkeit hinterliessen. Damit wurde den Stimmberechtigten eine ganz wesentliche Grundlage für eine verlässliche Meinungsbildung vorenthalten.

Die Informationslage vor der Abstimmung zeigt somit gesamthaft, dass den Stimmberechtigten ausschlaggebende Elemente für die Meinungsbildung und -äusserung fehlten. Die bundesrätlichen Abstimmungserläuterungen vermittelten ihnen die unerlässliche Transparenz nicht. Diese waren nicht bloss unvollständig, sondern erwiesen sich wegen Unterdrückung wichtiger Elemente und bedeutender Gegebenheiten als unsachlich im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung (oben E. 6.2). Die umfassende Betrachtung des Vorfeldes der Abstimmung führt somit zum Schluss, dass die Abstimmungsfreiheit im Sinne von Art. 34 Abs. 2 BV anlässlich der Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 verletzt worden ist. Dieser Verletzung kommt umso grösseres Gewicht zu, als die Möglichkeit nicht auszuschliessen ist, dass sie sich wegen ihrer Schwere und in Anbetracht des knappen Resultats auf den Ausgang tatsächlich ausgewirkt hat.

 

14.12.2012: Der Nationalrat lehnt mit 111 gegen 81 Stimmen das Postulat 12.3481 von Jacqueline Badran ab, das forderte:

«Der Bundesrat wird beauftragt, einen Bericht vorzulegen, in dem aufgezeigt wird, wie sich die Unternehmenssteuerreform II (USTR II) im Jahr 2011 auf die Steuereinnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden ausgewirkt hat und wie sie sich mittelfristig auswirkt. Gestützt auf statische und dynamische Berechnungen sind insbesondere die Auswirkungen der neugeregelten Teilbesteuerung, der Ausweitung des Beteiligungsabzugs und der Einführung des Kapitaleinlageprinzips darzustellen.»

 

2014: Zur Illustration einer Auswirkung der Einführung des Kapitaleinlageprinzips mit der USR II: Ivan Glasenberg, Direktor des Rohstoffkonzerns Glencore/Xstrata in Zug, bezieht 2014 einen Fixlohn von CHF 1,5 Millionen (mit AHV-Beitrag) und 200 Millionen als total steuerfreie Ausschüttung ohne Sozialversicherungsbeiträge.

 

Dezember 2015: Der Bundesrat hält in der Erläuterungen zum Voranschlag 2016 fest: «Bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise war die direkte Bundessteuer von einer hohen Dynamik geprägt. Sowohl die Gewinnsteuern als auch die Einkommenssteuern expandierten in dieser Zeit deutlich stärker als das nominale BIP. Seit dem Jahr 2009 verzeichnen die Einnahmen hingegen eine Stagnation».                                                           

 

30.11.2016: An diesem Stichtag sind CHF 1‘230‘000‘000‘000 zukünftig total steuerfrei an Aktionäre ausschüttbare Kapitalreserven (Agios) von der Eidgenössischen Steuerverwaltung genehmigt.

462 Milliarden solcher Kapitaleinlagereserven sind effektiv seit 2011 an Aktionäre einkommens- und verrechnungssteuerfrei ausgeschüttet worden. Ein Teil davon an vermögende Aktionäre, die mit ihren Aktiengesellschaften nach Annahme der USR II in die Schweiz gezogen sind, um vom weltweit grosszügigsten Ausschüttungsprinzip ohne flankierende Kapitalgewinnsteuer zu profitieren. Das heisst: Total wurden von 1.1.2011 bis 31.11.2016 CHF 1 Billion 692 Milliarden von 7‘365 Aktiengesellschaften angemeldet und durch die Eidgenössische Steuerverwaltung zur steuerfreien Ausschüttung an die Aktionäre genehmigt. Geldwäscherei kann dabei nicht ausgeschlossen werden.

 

27.12.2016: Der SGB veröffentlicht die Ausfallschätzungen der USR II seines Chefökonomen Daniel Lampart. Dieser berechnet – sehr konservativ geschätzt – Verluste für die AHV von über 2 Milliarden CHF sowie Steuerausfälle für Bund, Kantone und Gemeinden von 9,5 bis 13 Milliarden CHF. Die Behauptung von Bundesrat und Befürwortern der USR III, dass die Ausfälle aus der USR II dank Firmenansiedlungen durch die positiven Wachstumseffekte der Reform bei weitem kompensiert wurden, ist abenteuerlich. Haupttreiber der gestiegenen Einnahmen des Bundes waren die gestiegenen Unternehmensgewinne. Kommt dazu, dass die USR II nicht die Firmen, sondern die Privataktionäre begünstigt hat.

 

Fazit: Der Bundesrat unterschätzte die Ausfälle aus der USR II massiv. Auch das Referendumskomitee lag mit 2 Milliarden Ausfallschätzung im Zeitpunkt der Referendumsabstimmung deutlich zu tief. Die USR II hätte unter Offenlegung ihrer wahren finanziellen Auswirkungen an der Urne keine Chance gehabt. Die rechte Mehrheit im Nationalrat blockierte jegliche Korrektur an der masslosen USR II entgegen Anträgen von Ständerat und Bundesrat sowie jegliche Überprüfung der Ausfälle. Ein ähnlicher Milliarden-Bschiss droht mit der Unternehmenssteuerreform III, weshalb diese am 12. Februar 2017 abzulehnen ist.

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